Schattenarbeit

 

 

 

 

 

Einen wesentlichen Teil unserer Arbeit nimmt die „Schattenarbeit“ ein.

 

Mit Schatten meinen wir die Anteile in uns, die im Verborgenen arbeiten und eine destruktive Wirkung auf unser Leben haben.

Sie sind für Ängste in uns verantwortlich oder für Eigenschaften, die wir nicht haben wollen, weil sie uns furchtbar peinlich sind und wir glauben so nicht geliebt zu werden. Wir müssen sie mit viel Energieaufwand unterdrücken.

Das können gierige, feindliche, jämmerliche, egoistische, manipulierende oder geizige, hässliche und neidische Anteile sein, um nur einige zu nennen, die wir uns selbst nicht zugestehen können und vor anderen schon gar nicht.

Die Folge davon ist, dass sich diese Schattenanteile massiver melden, sei es in Angstträumen, in Zeiten, wo wir ausruhen, oder in für uns nicht nachvollziehbaren, unkontrollierten Ausbrüchen im Alltag und wir wieder noch mehr Energie zur Unterdrückung aufwenden müssen – ein Teufelskreis.

Energie, die wir in ihrer erlösten, kraftvollen Form weitaus sinnvoller in unserem Leben brauchen könnten.

 

Das kann, nur als Beispiel, Jähzorn sein, der nur durch einen Blick ausgelöst, in emotionsgeladenen Situationen hochschießt und uns Dinge sagen oder tun lässt, die wir hinterher sehr bereuen. Wenn wir uns damit befassen und nachschauen, wo dieser Anteil „Jähzorn“ in unserem Leben aktiv ist, können wir ihn zurückverfolgen bis zu seiner Entstehung und in dieser Situation auflösen. Und nicht selten ist er eigentlich gar nicht „Unserer“ sondern wieder etwas, das wir von unseren Ahnen ungefragt „geerbt“ haben.

 

Familiengeheimnisse können dort im Schatten liegen, uneheliche Kinder, die verschwiegen wurden, Abtreibungen, sexuelle Neigungen, unbedachte Handlungen, Missbrauch oder peinliche Situationen vor langer Zeit, für die wir seinerzeit am liebsten im Erdboden versunken wären.

 

Wir streben stets nach dem Licht, aber ohne den Schatten in uns erlöst zu haben, das heißt sichtbar gemacht, bearbeitet und integriert, werden wir dort nicht ankommen.

Positiv denken ist eine feine Sache, aber erst dann, wenn der Schatten integriert wurde. Passiert das nämlich ohne Schattenarbeit, wird er nur noch weiter weggedrückt und gärt und gärt und richtet immer mehr Schaden an.

 

Viele dieser Schattenanteile sind in der Kindheit entstanden: sei so nicht, das tut man nicht, benimm dich wie es sich gehört, sei nicht laut, faul, schlampig, respektlos, pass dich an… u.s.w.

Also müssen die Eigenschaften, für die wir nicht geliebt werden, vielleicht sogar bestraft oder gar geschlagen wurden, weit in den Schatten verdrängt werden.

Folglich haben wir uns zu leisen, angenehmen, angepassten unauffälligen Menschen entwickelt, die in unserer Gesellschaft irgendwo ein stilles Plätzchen bekommen und dort wunderbar manipuliert werden können. Nicht selten ist das ein Faktor, der zu Gefühlen von Lebensunfähigkeit und Krankheiten führt!

 

Und weil wir diese ungeliebten Eigenschaften in uns ja nicht wahrnehmen können, weil sie weit in die Tiefe verdrängt wurden, projizieren wir sie auf unsere Mitmenschen: du bist faul, hässlich, labil, respektlos, schlampig, neidisch, jämmerlich u.s.w.! Ein ewiges Spiel, das in seiner unerlösten Form unendlich so weiter geht und uns an einem erfüllten Miteinander hindert. Wir können unseren Partner verlassen, unsere Arbeitsstelle, neue Lebensumstände schaffen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir "uns" mitnehmen mit all unseren unerlösten Schattenanteilen und das Spiel geht von vorne los...

 

Die Schatten in der Innenwelt zeigen sich symbolisch meist als Dämonen, Hexen, schwarze Gestalten, Ungeziefer, Teufel oder Untiere, vor denen man erstmal große Angst empfindet. Sie geben einem das Gefühl der Machtlosigkeit und Zerstörung und wollen doch nichts anderes als endlich wahrgenommen und vor allem angenommen werden.

Auch dort zeigt die Psyche in ihrer Bildsprache mit allen dazugehörenden Emotionen, das Ungleichgewicht und die Spannung, die auf diesen Anteilen liegt.

 

Oftmals wird der Klient von diesen Gestalten erstmal hämisch ausgelacht. Wenn wir dann in die Ursituationen der Entstehung gehen und der Klient dort seine einst gedeckelten Emotionen ausagiert, verändern sich die Schattengestalten sofort, verlieren ihre Bösartigkeit und sprechen dem Klienten sogar ihren Respekt aus.

Gefühle von Stolz und großer Erleichterung begleiten diesen Prozess.

Wir sind wieder ein Stückchen „ganzer“ geworden.

 

Auch Ängste haben ihren Lebensraum im Schatten. Sie sind gebündelte Energie, die nie abfließen konnte und uns in vielen Situationen unseres Lebens beim Weiterkommen hindert.

Viele Menschen haben noch jahrzehntelang Angst vor der Dunkelheit. Sei es, dass sie uns auf unsere „dunklen Seiten“ hinweist oder sei es „Der schwarze Mann“ der uns holt, wenn wir nicht brav sind. Oder wir wurden in den Keller gesperrt wenn man nicht folgsam ist.

Heute als Erwachsener sagt uns der Verstand dass das alles Unsinn ist, doch sobald die Dunkelheit kommt, breitet sich ein mulmiges Gefühl aus…

Unser inneres Kind in uns leidet noch immer an diesen Ängsten aus der Vergangenheit – wir sollten es endlich befreien.

 

Ängste von Kindern sollten sehr ernst genommen werden. Sie leben noch weitaus mehr aus dem Unbewußten heraus und sind daher noch viel näher an dem Schattenmaterial, das immer einen realen Hintergrund hat. Sie haben noch nicht das rationale Denken der Erwachsenen entwickelt, um das alles so bewältigen zu können. Wenn wir die Ängste unserer Kinder also abtun mit Worten wie: „das ist Unsinn, das gibt’s gar nicht, du spinnst dir schon wieder was zusammen“, lassen wir das Kind völlig im Stich.

Durch Märchen, Geschichten, Zauberern, Clowns oder Fantasiefilmen, geht das Schattenmaterial der Kinder in Resonanz mit diesen bildhaften Geschichten und löst Ängste aus, denen es hilflos ausgeliefert ist.

 

Nun sagen Sie vielleicht, das hat in meiner Kindheit auch niemanden interessiert und aus mir ist auch was geworden.

Aber nicht jeder hat so ein "dickes Fell". Die Entwicklung unserer Welt wie sie heute ist, voll von menschlichen Tragödien, Terror, Amokläufern, Unfällen, Morden, Selbstmorden u.s.w. spricht Bände…

 

Dass diese kranken Verhaltensweisen in direkter Wechselwirkung mit dem Unbewussten stehen, beweisen die Senoi, ein kleines Volk, das in den tropischen Urwäldern des Zentralhochlandes von Malaysia lebt.

Bei den Senoi ist die Traumpsychologie der Mittelpunkt ihres kollektiven Lebens und dient der sozialen Integration.

Kilton Steward lebte vor dem 2. Weltkrieg ein Jahr lang bei den Senoi und schrieb über sie seine Doktorarbeit.

 

Träume werden unter Leitung eines „Therapeuten“ in der Gruppe erzählt, analysiert und in Form von Tagträumen (in einem entspannten Zustand) positiv „umgeträumt“. Ziel der Traumarbeit ist es, sich seinen Ängsten und Schattenanteilen zu stellen und „Herr des eigenen Traumreiches“ zu werden - auch in dem Sinn, daß Erkenntnisse aus der Traumarbeit in aktives Handeln und kreative Arbeit im realen Leben umgesetzt werden.

 

Die Senoi hatten seit rund 300 Jahren keine Auseinandersetzung mit Nachbarstämmen. Auch innerhalb der Familien und der ganzen Gruppe gibt es kaum Anlaß für Reibereien. Gewaltverbrechen aggressiver oder sexueller Art kommen nicht vor, auch keine Diebstähle oder Raubüberfälle. Kopfjägerei, Kannibalismus und Marterungen sind unbekannt.

 

Die Senoi sind erstaunlich gesund, einige Stämme sogar immun gegen Malaria. Geisteskrankheiten wurden nicht beobachtet. Schläge und alle anderen Formen, körperlicher Bestrafung sind tabu.

Es gibt keine starren Gesetze, Gefängnisse, keine Polizei und keine psychiatrischen Anstalten. Familie, Wirtschaft und Politik gründen sich auf demokratische Grundsätze. Weiter zeichnen sie sich durch ein hohes Maß an psychischer Integration und Reife des Gefühlslebens aus.

 

„Lebe deinen Traum“ - so verabschieden die Senoi im Dschungel einen Freund. Bleibt nur zu hoffen, daß unsere westliche Zivilisation die Bräuche der Senoi nicht überrollt und ihre Traumkultur verschwunden sein wird, bevor wir begriffen haben, welcher Schatz sie ist.